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24.02.2017

Ein Geben und ein Nehmen

Einen Angehörigen zu pflegen, ist für die Betroffenen eine große Belastung. Zum einen emotional, zum anderen muss das eigene Leben irgendwie einigermaßen geregelt weitergehen. Da hilft es, einen Arbeitgeber zu haben, der offen für gemeinsame Lösungen ist

Andy Battenfeld und seine Frau Burcu  haben ein hartes Jahr hinter sich. Es war im Frühjahr 2016, als sich herausstellte, dass seine Großmutter schwer an Krebs erkrankt war und ihren Alltag nicht mehr alleine bewerkstelligen konnte. „Innerhalb von vier Monaten hat sie zusehends und rapide abgebaut“, so der 36-Jährige, der als Chemiearbeiter in der Spritzgussabteilung bei biw Isolierstoffe in Ennepetal arbeitet. „Sie konnte kaum noch laufen, nicht alleine essen, nicht zur Toilette gehen, aus ihrem Haus heraus wollte sie nicht, fremde Hilfe nahm sie nicht an. Für ihn und seine Ehefrau stand fest, die Großmutter zu Hause zu pflegen.

„Meine Mutter konnte das alleine nicht stemmen, da sie ebenfalls gesundheitlich angeschlagen ist.“ Zu Beginn habe sich die Großmutter alle zehn Minuten via Babyphone gemeldet, ein 24 Stunden-Job. Unter normalen Umständen nicht zu vereinbaren mit dem eigenen Beruf. Zusammen suchte das Ehepaar biw- Personalreferentin Nadine Hallenberger auf, um mit ihr über die Situation zu sprechen.

Kein einfacher Schritt, der Überwindung gekostet hat. „Es ist etwas anderes zu sagen, dass man die Großmutter auf die Toilette bringen muss, als dass man sagt, man müsse für die Kinderbetreuung sorgen“, weiß auch Christa Beermann, die Demografiebeauftragte des Ennepe-Ruhr-Kreises, zuständig für die Kampagne „Pflege und Beruf“: „Viele Angehörige scheuen sich vor dem Schritt. Und auch viele Unternehmen befassen sich noch nicht wirklich mit diesem Thema.“ Bei biw war das anders. 2012 hat das Unternehmen die ersten Gespräche mit Christa Beermann geführt, ein eigenes Konzept erstellt. „Unserer Belegschaft haben wir auf der Betriebsversammlung mitgeteilt, dass wir dem Netzwerk der Kampagne zur Vereinbarkeit von Beruf und Pflege beigetreten sind“, so Nadine Hallenberger. Zuvor gab es eine Umfrage unter den Mitarbeitern, die deutlich machte, dass das Thema immer mehr an Bedeutung gewinnt.

 

VERTRAUEN IST

DAS A UND O

 

Andy Battenfeld hat in den vergangenen Monaten selbst gemerkt, dass diese Art der Familienfreundlichkeit und der Unterstützung in dem Unternehmen auch gelebt wird. Gemeinsam mit der Produktionsleitung wurde eine Möglichkeit erarbeitet, die ihm erlaubte, seine Großmutter zu pflegen und trotzdem seinem Beruf nachzugehen. „Ich konnte von jetzt auf gleich gehen, wenn was war, oder später zum Dienst erscheinen, Stunden nach- oder vorarbeiten. Alles flexibel und vor allem ohne ständige Erklärung“, erinnert er sich. Natürlich habe der Schichtdienst seiner Frau, die als Teamleiterin bei biw tätig ist, geholfen. So konnte immer eine Absprache getroffen werden, wer wann für die Betreuung einspringen kann. „Wichtig ist natürlich, dass auch die Kollegen mitziehen. Gerade in der Produktion muss die fehlende Arbeitskraft sofort durch einen Kollegen ersetzt werden. Das ist noch einmal etwas anders, als im Büro“, so Personalleiterin Nadine Hallenberger. Das habe aber problemlos funktioniert, nicht zuletzt, weil bei biw in festen Teams gearbeitet wird, was den Zusammenhalt untereinander stärkt. Allen Beteiligten sei klar, dass es sich hier um ein Geben und Nehmen handelt. „In so eine Situation kann von heute auf morgen jeder kommen. Und dann ist er ebenfalls auf die Unterstützung der Kollegen angewiesen.“ Zudem sei Vertrauen der Grundstein für alles. „Ich muss mich darauf verlassen können, dass ein Mitarbeiter das ihm entgegengebrachte Vertrauen nicht ausnutzt und beispielsweise ins Schwimmbad statt zur Pflegeperson fährt.“ Und es müsse immer eine Individuallösung gefunden werden, abhängig vom Mitarbeiter, der jeweiligen Situation und dem Zeitraum, um den es geht. „Hierfür ist eine offene Kommunikation unerlässlich.“

 

WIN-WIN-SITUATION

FÜR BEIDE SEITEN

Foto: Andy Battenfeld

Vier Monate dauerte die Pflege der Großmutter von Andy Battenfeld, bevor sie in ein Krankenhaus kam und verstarb. Für das Ehepaar eine lange und schwierige Zeit. „Es waren einfach viele Dinge nicht mehr möglich, die für unsereins selbstverständlich sind“, so Andy Battenfeld. Vier Monate, die ohne die Hilfe externer Pflegekräfte und die Hilfe vom Unternehmen nicht so zu bewerkstelligen gewesen wären. „Das ist nicht selbstverständlich, was mein Arbeitgeber für mich gemacht hat.“ Das kann Christa Beermann bestätigen. „Viele Unternehmen Schieben das noch von sich weg, dabei werden es immer mehr Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die in solch eine Situation geraten. Wir werden alle älter und somit auch die Eltern und Angehörigen. Viele Unternehmen wissen dies auch theoretisch, machen aber praktisch bisher nichts – auch weil sie (fälschlicherweise) denken, es sei mit hohen Kosten und großem Aufwand verbunden. Dabei können auch kleine Angebote viel helfen, wie beispielsweise Vertretungsmanagement für kurzfristigen Ausfall, Informationen über regionale Beratungsangebote, oder Informationen über flexible Arbeitszeiten.“

Dass es gerade im produzierenden Gewerbe schwieriger ist umzusetzen,  ist ihr klar. „Die Produktion muss weiterlaufen. Manpower ist in der Produktion das A und O. Der Kunde wartet nicht auf sein Produkt.“ Zudem sei das Thema Pflege teils noch immer ein Tabuthema und in nicht wenigen Unternehmen gelte das alte Klischeedenken: Es pflegen die Frauen und in der Produktion arbeiten hauptsächlich Männer, da gebe es also weniger Bedarf nach Unterstützung. Tatsächlich ist Fakt, dass etwa zwei Drittel der Pflegenden Frauen und (bislang) nur ein Drittel Männer sind. Die Tendenz ist jedoch steigend. Das kann biw-Personalreferentin Nadine Hallenberger bestätigen: „Bei uns sind es sehr viele Männer, die Angehörige pflegen.“ Christa Beermann sieht biw als Vorzeigeunternehmen, für dessen Geschäftsführer Ralf Stoffels schnell klar war: „Das Thema ‚Pflege und Beruf‘ beschäftigt unsere Mitarbeiter, damit steht es außer Frage, das seitens der Geschäftsführung anzugehen.“ Nicht zuletzt auch, da die Vereinbarkeit von Familie und Beruf heutzutage ein wichtiger Standortfaktor ist, um Mitarbeiter zu gewinnen und zu halten. Und am Ende ist es für alle Beteiligten eine Win-Win-Situation. „Was habe ich von einem Mitarbeiter, der es nicht erzählt und für den somit keine Lösung gefunden werden kann? Er ist unter Umständen unkonzentriert, unzufrieden und meldet sich am Ende krank, weil er die Belastung nicht mehr aushalten kann“, so Nadine Hallenberger. „Das kann auch nicht im Sinne des Arbeitgebers sein.“ Andy Battenfeld jedenfalls war froh über die Unterstützung, die er bekommen hat.

„Man muss sich neben der Pflege an sich noch mit so vielen bürokratischen Dingen beschäftigen, die völlig neu für einen sind. Da ist man über jegliche Art der Unterstützung dankbar.“

 

■ Desirée Jacobi

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